Monatsblatt 2021/02
Fasten - bloß ein Abnehmen oder doch mehr?
Ein überwiegender Teil der Menschen in unserer Zeit verbindet mit dem Stichwort „fasten“ in erster Linie das Bemühen, dem Körper einiges an Gewicht abzuringen. Fasten wird, aus meiner Sicht, sehr oft beschränkt auf das Abnehmen.
Kilos zu verlieren, um schlanker zu werden, lautet das gesellschaftliche Motto. Das bedeutet oft, auf etwas verzichten zu müssen, das zu unseren lieben Angewohnheiten zählt, wie z.B. Verzicht auf Speisen mit weniger oder gar keinem Fettanteil, keine Süßigkeiten, im Grunde genommen also keine Speisen und Getränke zu konsumieren, die den Zeiger der Waage nach oben schnellen lassen.
Jeder, der das schon gemacht hat, wird bestätigen können, dass der Vorsatz zu fasten, um abzunehmen, ganz schön anstrengend sein kann. Der Körper soll fit gemacht werden, damit die Figur im Sommer auch hergezeigt werden kann. Es soll also zum einen durch Verzicht im Essen und Trinken und zum anderen durch Sport erreicht werden.
Das ist natürlich ein guter Vorsatz, etwas für seinen Körper zu tun. Das fördert die Gesundheit und stärkt unser Wohlbefinden. Aber das Stichwort „fasten“ lediglich auf Verzicht und körperliche Anstrengung zu beschränken, um abzunehmen, halte ich für zu kurz gegriffen. Fasten ist nicht bloß ein Vorsatz, der sich auf den Körper bezieht. Fasten muss auch die Seele mit einbeziehen. Fasten ist daher in erster Linie im Bereich der Spiritualität anzusiedeln.
Alle Religionen kennen, zur spirituellen Vertiefung, die Möglichkeit des Fastens. Nachdem wir das Judentum auch als die ältere Schwester des Christentums bezeichnen, könnte uns im Folgenden das Alte Testament mit einem Beispiel zum Nachdenken anregen. Der Prophet Jesaja sieht im Kapitel 58 einen Zusammenhang von Fasten mit Taten der Umkehr und der Solidarität zu den Mitmenschen:
Ist nicht das ein Fasten, wie ich es wünsche: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, Unterdrückte freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen? Bedeutet es nicht, dem Hungrigen dein Brot zu brechen, obdachlose Arme ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deiner Verwandtschaft nicht zu entziehen? (Jes. 58, 6 – 7)
Der Prophet Jesaja versäumt dabei aber nicht, die Wirkung seiner Fastenvorschläge zu erwähnen.
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie das Morgenrot und deine Heilung wird schnell gedeihen. Deine Gerechtigkeit geht dir voran, die Herrlichkeit des HERRN folgt dir nach. Wenn du dann rufst, wird der HERR dir Antwort geben, und wenn du um Hilfe schreist, wird er sagen: Hier bin ich. Wenn du Unterjochung aus deiner Mitte entfernst, auf keinen mit dem Finger zeigst und niemandem übel nachredest, den Hungrigen stärkst und den Gebeugten satt machst, dann geht im Dunkel dein Licht auf und deine Finsternis wird hell wie der Mittag. (Jes. 58, 8 – 10)
Ich finde diese Sichtweise von Fasten nicht nur interessant, sondern auch zeitgemäß. Fasten bedeutet somit nicht nur ein „Weniger“ von etwas, wie z.B. weniger Speise und Trank oder weniger Handy-, Computer-, Internet- oder Fernsehzeit. Fasten bedeutet auch ein „Mehr“ von etwas. Dieses „Mehr“ könnte bedeuten, sich Zeit zu nehmen für jemanden oder etwas, das über das Jahr hinweg vielleicht vernachlässigt worden ist. Einen Besuch zu machen und einem Menschen Zeit zu schenken, ohne auf die Uhr zu schauen. Zuwendung spürbar werden zu lassen, Aufmerksamkeit zu geben, ehrliche Freundlichkeit zu üben durch eine nette Geste, einen liebevollen Blick oder ein gutes Wort.
Ich bin überzeugt, dass diese Übung nicht als Verlust erfahren wird, sondern als Bereicherung; sowohl für den Geber, wie für den Beschenkten. Unserer Kreativität, sich im Guten zu üben, sind hier keine Grenzen gesetzt.
Dieses „Mehr“ könnte auch sein, ein Buch zu lesen, das die Seele erbaut und dem Leser Freude macht. Oder täglich einige Verse in der Bibel zu lesen, und anschließend über den gelesenen Text nachzudenken, also darüber zu meditieren.
Wir haben viele Möglichkeiten des Fastens. Die Motive gehen dabei vom Bittcharakter, über die Opferleistung, bis hin zu einem Vorbereitungsritus kommender Feste. Gerade im liturgischen Jahreskreis der katholischen Kirche begegnet uns der Gedanke des Fastens in der Zeit des Advents als Vorbereitung auf das Geburtsfest des Herrn. Manchmal wird diese Zeit auch als „kleine Fastenzeit“ bezeichnet. Noch stärker betont wird das Fasten dann in der Zeit von Aschermittwoch bis Ostern als Vorbereitung auf das Fest der Auferstehung Jesu. In diesen vierzig Tagen vor Ostern sind alle Katholiken eingeladen, das Fasten noch bewusster zu üben.
Ich wünsche uns, dass diese Gedanken über das Fasten eine Hilfe sein werden in der Gestaltung unseres christlichen Lebens, damit unsere Vorsätze nicht nur schöne Worte bleiben, sondern lebendig, spürbar und erfahrbar werden, für uns selbst und die Menschen, denen wir begegnen.
P. Christoph Mayrhofer