Monatsblatt 2020/10
Der zeitlose Geist des Heiligen Franziskus
Wer kennt ihn nicht, den Heiligen Franz von Assisi, ob als Patron der Tiere, der einst den Vögeln predigte, oder als „armen Bruder“, der auf jeglichen Besitz verzichtete, der umherzog und Armen half, oder als Erfinder der Krippendarstellung mit lebenden Figuren in Greccio? Viele Geschichten und Anekdoten kreisen um diesen Heiligen. Wer war dieser Mann, der auch heute noch nach 800 Jahren seines Wirkens oder gerade heute in unserer Zeit, so großen Eindruck auf die Menschen ausübt? Was macht ihn so modern, dass selbst ein Papst seinen Namen gewählt hat?
Der reich geborene und elitär aufgewachsene Franziskus spürte schon als junger Mann, dass das bürgerliche Leben für ihn keine Zukunft haben würde. „Was nützen modische Kleider, wenn du innerlich nackt und leer bleibst?“ Franziskus begab sich auf eine Sinnsuche, bei der er sich einen Lebensauftrag vom allerhöchsten, über alles Irdischen thronenden Gott erhoffte. Jahrelang blieb er ein Suchender, doch weder vom „Weltenherrscher“ – das war damals sein Gottesbild – noch von der Predigt der irdisch-machtvollen Kirche hat er die Antwort für seinen Lebensweg erhalten.
Erst die unausweichliche Begegnung mit Aussätzigen, vor denen er sich bis dahin graute, lenkte ihn auf eine bestimmte Bahn in seinem Leben und erfüllte ihn so mit Freude, dass er von da an immer mehr die Nähe zu den Armen, Kranken und Ausgestoßenen suchte. Ein weiterer entscheidender Schritt in seiner Lebensorientierung ereignete sich in dem von Assisi nicht weit entfernten renovierungsbedürftigen Kirchlein San Damiano. Die innige Begegnung mit dem armen, nackt an einem Ikonenkreuz so menschlich dargestellten Christus, erweckte in ihm eine neue Liebe zu Gott und zu den Menschen. Der „Höchste“ führte Franziskus zu den „Geringsten“, zu den Ausgestoßenen und zum armen, so menschlichen Christus am Kreuz. Auf Augenhöhe begegnete ihm der Gottessohn. Von da an sah er auch Gott nicht mehr als fernen Herrscher, sondern als menschennahen Vater. Von dieser Erkenntnis aus muss man auch die Lebensauffassung und Lebensgestaltung des Heiligen Franziskus verstehen. Durch den Vater, den Schöpfer der Welt, sind nicht nur die Menschen, sondern jegliches Leben und Sein geschwisterlich miteinander verbunden. Von daher ist seine Liebe zu den Tieren und zur Natur zu verstehen, aber auch sein Umgang mit Menschen anderer Religionen und Kulturen. Er war es auch, der schon damals betonte, dass man von den anderen etwas lernen könne. Die Grundidee des heutigen Rosenkranzes und des Gebetläutens unserer Kirchenglocken zu bestimmten Tageszeiten brachte Franziskus von seinem friedvollen Kreuzzug aus Ägypten mit, wo er von der Gebetspraxis der Muslime beeindruckt war.
Die endgültige Weichenstellung in seinem Leben erfolgte am Apostelfest des Heiligen Matthias. Als Franziskus das Evangelium von der Aussendung der Zwölf hörte, soll er ausgerufen haben: „Das ist es, was ich mit allen Kräften zu erfüllen wünsche“ - dem armen Christus nachzufolgen und ihn nachzuahmen. So nahm er das Wanderleben Jesu mit seinen Jüngern in Galiläa zum Vorbild für sein eigenes Leben. Besitzlos zog er mit seinen Brüdern umher, predigte tagsüber in den Städten, arbeitete um das tägliche Brot und zog sich nachts in die Stille zurück.
Wenn der Jesuit Jorge Mario Bergoglio als Papst den Namen „Franziskus“ annimmt, dann nicht deshalb, um selbst wie Franz von Assisi zu leben, sondern als Programm für die Kirche. Bergoglio wurde in das Amt des Papstes gewählt und nicht zum Leben des Franziskus berufen – das ist ein Unterschied. Man spürt den Geist des Heiligen Franziskus ganz deutlich im Pontifikat des Papstes: Rückbesinnung der Kirche auf Christus, der arm geboren wurde, arm gelebt hat und arm gestorben ist; der so wichtige Dialog zu den anderen Konfessionen und Religionen; Bewusstseinsschärfung, dass wir nicht über der Welt stehen, sondern geschwisterlich mit ihr verbunden sind und wir für unsere Mutter Erde Sorge zu tragen haben.
Aber auch für uns ganz persönlich, für unsere je eigene Orientierung ist das Lebensbeispiel des Franziskus sehr wertvoll. So wie Franziskus jahrelang auf der Suche nach seinem Weg zu Gott war, so gibt es auch in unserer Zeit viele Menschen, die voll Sehnsucht Gott suchen oder anders gesagt, vieles ausprobieren, um „glückselig“ zu werden. Keine Kosten werden gescheut, um die Erfüllung im Leben zu „kaufen“. Man irrt von einem Angebot zum anderen. Und dann schaut man hin auf diesen kleinen Heiligen, der nichts ausgegeben hat, weil er gar nichts besessen hat und trotzdem reicher war an Lebensfreude und Liebe, als wir es je zu träumen vermögen.
Mögen auch wir mit unserem Leben in Gottes Händen die Erfüllung und den Frieden finden.
Mario Flitsch